Dirk Vorndamme | Die Welt ist nicht genug

„Genauso die Erde, die wird auch sterben, wenn sie (Menschen) so weiter machen. Überhaupt keine Frage. Von daher haben wir hier auch wieder Tod. Der Mensch ist so dumm, sag ich jetzt mal, wie ein Krebsvirus, dass er seinen eigenen Wirt kaputt macht und dann verreckt. Denn wenn die Welt kaputt ist oder der Regenwald weg ist zum Beispiel, dann ist das Menschlein nicht mehr weit oder wenn die Bienen sterben, dann ist es mit der Menschenspezies auch nicht mehr weit hin. Da ist was dran. Und die Insekten und Bienen sterben langsam. Das ist mein Thema.“ (Dirk Vorndamme, 2021)
Düstere, aber leider auch wahre Worte, die der Künstler Dirk Vorndamme im Juli diesen Jahres, während des Interviews zu seiner Ausstellung von sich gab. Der Mensch scheint nicht in der Lage zu sein, so im Einklang mit der Erde zu leben, dass eine symbiotische und für alle Lebewesen positive Beziehung zustande kommt. Bereits in seinen beiden vorherigen Ausstellungen, die vor neun und acht Jahren im alten OZM in der Sternschanze zu sehen waren, behandelte Dirk Vorndamme gefühlt die gesamten Lasten, die der modernen Menschheit anhaften. In einem Interview zu seiner letzten Ausstellung Everything is Ok, Baby! (2013) sagte er, dass sich die negativen Prozesse und Abläufe, die durch den Menschen verursacht werden, sich nicht mehr ins Positive umkehren lassen würden. Und bisher hat er recht behalten. Kaum ein/e Künstler*in im OZM vermittelt mit seiner/ihrer Kunst solch eine direkte und klar kritisch erkennbare Botschaft, wie es Dirk in seiner Ausstellung Die Welt ist nicht genug tut. Wie rote Fäden ziehen sich etliche neuralgische Themen, wie u. a. Rassismus, Terror, Gier, Klimakatastrophen, unendlicher Wachstum und die ungleiche Verteilung von Ressourcen sowie Kapital durch das Œuvre von Dirk Vorndamme, der seit 25 Jahren Plakat-Wände entwirft und erstellt. Mit seiner derzeitigen Arbeit im OZM HAMMERBROOKLYN, die er vor 1,5 Jahren mit den ersten Skizzen begann, schafft er es das erste Mal ein allumfassendes Statement, das viele seiner Themen in einer Ansicht vereint zu zeigen.
Dirk Vorndamme | Everything is ok, Baby!
Dirk Vorndamme | Junk World!
Dirk Vorndamme | We want your Oil | Orange
Dirk Vorndamme | Homo 13

In einem komplett schwarz getünchten Raum befindet sich mit seinen 2 x 2 Metern das bisher größte Werk des Künstlers. In der Mitte direkt vor dem Eingang auf dem Fußboden ist ein Kreuz mit der Aufschrift: „R.I.P Mutter Erde“ gemalt. Mama Terra wird hier semiotisch zu Grabe getragen. Dahinter, es wirkt, als wenn es schweben würde, befindet sich der Collage-Teil der Kunstinstallation. Alles ist gekonnt und dramatisch mit Licht akzentuiert. Das collagierte Stück der Arbeit, das ganz klar die Welt und auf ihr ein krabbelndes Skelett präsentiert, ist aus mehreren Schichten Plakaten gemacht. Besonders das menschliche Gerippe besteht aus etlichen Lagen Papier, um mehr Tiefe und Plastizität in das Werk zu bringen.

Seit mehreren Jahren schon ist das Plakat das Material, aus dem Dirk Vorndammes Kunst hauptsächlich besteht und verdeutlicht somit seine Liebe zu diesem Werkstoff. Diese dicken Plakatschichten, die immer den Ausgangspunkt seiner Arbeiten bilden, findet der Künstler auf der Straße. Hat er eine geeignete Plakat-Wand gefunden und sie von der Straße geholt, überlegt er sich, was für ein Format das Werk haben soll, welches Motiv er verwenden möchte und beginnt dann mit einer Bleistiftskizze. Den Rest malt, baut, stapelt und bastelt er dann zu einem Plakat-Wand-Bild zusammen. Aufgrund der inhärenten Oberflächenstruktur der Plakate mit den Unebenheiten verleihen sie jedem Bild eine Einzigartigkeit. Für seine Bilder nutzt Dirk Vorndamme die Rückseite der Plakate, da sie eine neutrale und monochrome weiße oder graue Farbigkeit aufweisen und sich dadurch besser bearbeiten lassen. Hingegen verkünden die Vorderseiten von vergangenen Konzerten, Festen, Kulturveranstaltungen, Versammlungen und vielem anderem. So sind sie nicht nur die Substanzen für die einzelnen Kunstwerke, sondern auch bunte Zeugnisse aus vergangenen Zeiten. Aus diesem Grund sind sie Spiegel für gesellschaftliche Zustände und wichtige Quellen für das Verständnis einer gewissen Zeit. Leider werden Plakate in der zunehmenden digitalisierten Welt immer seltener, weshalb das Material allmählich von den Straßen verschwindet; jedenfalls die zu dicken Schichten übereinander geklebten Plakate, die sich teilweise auch schon von alleine vom Untergrund lösen. Ansonsten arbeitet Dirk Vorndamme gerne und ganz klassisch mit Pinsel und Farbe. Oft kann man die Schraffuren der Pinselstriche noch in seinen Arbeiten erkennen. Er bevorzugt knallige Farben, wie türkis, lila sowie pink und liebt das manuelle Handwerk. So kommen computerbasierte Techniken bei ihm nicht zum Einsatz.

Bei Dirk Vorndammes Kunst vermischen sich spannende Aspekte. Im kontextualisierten Ausstellungsumfeld des OZMs stellt sich z. B. folgende Frage: Sind die Werke des Künstlers der Street Art zu zurechnen oder eher nicht? Auf der einen Seite verwendet er ganz klar ein Material (Plakat), das von der Straße kommt. Auf der anderen Seite entstehen seine Arbeiten weder dort noch stellt er sie im urbanen Raum aus. Das hat er noch nie getan. Doch durch die Verwendung des Werkstoffes Plakat, dass in der Regel ein mit Text sowie Bild bedruckter Bogen aus Papier oder Stoff ist und eine Botschaft übermittelt, bezieht sich Vorndammes Kunst aber auf das öffentliche Umfeld der Straße, auch wenn es im Inneren eines Ausstellungshauses zu sehen ist. Bis zur Massenverbreitung des Fernsehens (um 1970), war das Plakat eines der bedeutendsten Werbemittel. Seitdem hat es sich nur kaum verändert. Damals wie heute wird es oft in hoher Auflage auf Papier gedruckt, ist groß, farbig, auffällig, enthält Bild und Schrift in möglichst sinnvoller Anordnung und will etwas mitteilen. Diese Bestandteile sind bei dem collagierten Teil von Die Welt ist nicht genug deutlich zu sehen. Auch wenn das Format der Arbeit nicht das klassische eines Plakates ist, so ist es doch groß und deutlich sichtbar. Außerdem ist es farbenfroh und beinhaltet sowohl Motive als auch Schrift. Ebenso sind die Aussagen, die das Kunstwerk vermittelt, eindeutig und selbsterklärend, auch wenn diese nicht gleich auf den ersten Blick zu finden sind. So kann der Künstler (Absender) nicht hundertprozentig sicher sein, ob seine Botschaft den einzelnen Besuchenden (Empfänger*in) erreicht. Ob die Arbeit von Dirk Vorndamme der Street Art zugeordnet werden kann, lässt sich nicht eindeutig klären. Fest steht aber, dass er Kunst in der Manier von Street Art produziert.

„Es ist nicht einfach mit dem Negativen. Man muss sich mit dem Negativen halt auseinandersetzen. Mit dem Positiven musst du nur gucken.“ (Dirk Vorndamme, 2013)

Interessant ist zudem die Art und Weise, wie die Motive von Vorndamme gestaltet sind. So rufen sie eine starke Assoziation an den Comic hervor. Besonders das Skelett, das immer wieder vom Künstler verwendet wird und sich durch sein Gesamtwerk zieht, ist sehr auffallend. Schädel und Knochen ziehen Dirk Vorndamme bereits seit seiner frühen Jugend in den Bann und so malte er immer schon das Gerippe der Menschen, anstatt deren Leiber. Das Knochenwesen symbolisiert für den Künstler das Böse der Menschheit und zeigt, dass es ihm nicht darum geht, „schöne“ und gefällige Kunst zu erschaffen. Seine Intention zielt darauf ab, dass die Betrachter*innen ein beängstigendes Gefühl entwickeln. Er selbst nennt seine Kunst deshalb auch „Horror Pop Art“. Ein paar Parallelen lassen sich zur Kunstrichtung Pop Art durchaus ziehen. So bezogen einige Künstler*innen dieses Genres beispielsweise die Ästhetik des Comics in ihre Kunst mit ein oder verfremdeten Comicstrips zu gerasterten Riesentafeln wie Roy Liechtenstein. Aber auch Reklametafeln, Werbeetiketten oder Verpackungsmaterial und Objekte der alltäglichen Konsum- und Massenkultur wurden als Bildinhalte in die Kunst integriert. Dabei wurden die Gegenstände oft aus ihrem ursprünglichen Kontext heraus gelöst und verfremdet. Die Künstler*innen verwendeten teilweise grelle Leuchtfarben, die sie der Farbpalette der modernen Werbung entnahmen. Zu den bevorzugten künstlerischen Gestaltungsprinzipien der Pop Art zählten neben werbegrafischen Techniken vor allem auch die Fotomontage und die Collagetechnik. Die Künstler*innen der Pop Art behandelten in ihren Werken insbesondere den Lebensinhalt des modernen Menschen, als das sie auch Verbrauchsgüter und banale Objekte hervorhoben, die von einem trivialen Unterhaltungsbedürfnis geprägt sind. Somit brachte die Pop Art in ihrer Deutung der industriell bestimmten Kultur zugleich Bewunderung als auch Kritik der modernen Konsumgesellschaft zum Ausdruck. Einige der aufgezählten Punkte lassen sich bei Dirk Vorndammes Arbeiten auch wiederfinden. Die höchste Übereinstimmung findet sich wohl in der Verwendung der hellen und leuchtenden Farben. Aber auch der Malstil von ihm kann dem des Comics zugerechnet werden, auch wenn er keine gerasterten Punkte einsetzt. Zusätzlich weisen sowohl der collagierte Teil als auch das gemalte Kreuz von Die Welt ist nicht genug ein großes Format auf, das dem einer Reklametafel ähnelt. Schaut man sich andere Werke des Künstlers an, so sieht man, dass Dirk Vorndamme auch gerne mal Gegenstände aus dem alltäglichen Leben und Konsumgüter aus ihren jeweiligen bekannten Kontexten heraus greift, um sie zu akzentuieren und in neue Zusammenhänge zu stellen. Der moderne Mensch im 21. Jh. steht in seiner Kunst ganz klar im Fokus und besonders die Lebensweise der Industriestaaten wird kritisch beleuchtet.

Die Besucher*innen sind vom Künstler herzlich dazu eingeladen, die Installation zu betreten, sich im Raum zu bewegen, den plastischen Teil der Arbeit zu umrunden, diesen auch vorsichtig anzufassen und nach den geschriebenen Worten zu suchen. Es sind keine angenehmen Themen, die Dirk Vorndamme mit seinem Kunstwerk im OZM HAMMERBROOKLYN behandelt. Aber dem Künstler geht es vorrangig auch nicht darum, die Menschen eines Besseren zu belehren. In erster Linie möchte er seine eigenen Dämonen und Ängste loswerden. Wenn die Menschen sich durch seine Kunst ändern, findet er das schön, aber das ist nicht sein erster Gedanke, den er bei der Anfertigung seiner Werke hat. Doch die Ausstellung, die der Künstler als bildhaften Stellvertreter für die Bewegung „Fridays for Future“ sieht, mahnt definitiv an. Kunst vermag es, die Leute anders zu berühren, als es der gewöhnliche politische Diskurs in u. a. Zeitungsartikeln, Kommentaren oder Fernsehen tut. Gegebenenfalls erweist sich die emotionale Kraft eines Bildes als stärker, als die intellektuelle Voreinstellung der Betrachter*innen. Kunst hat einen Einfluss darauf, wie bestimmte Sachverhalte angesehen werden. Das macht sie einzigartig. Für Dirk Vorndamme, der einen eigenen Standpunkt hat und ihn öffentlich vertritt, ist Kunst ein großartiges Werkzeug, um diesen zu präsentieren. Und am Ende sollte man nicht vergessen, das Gesetze von Menschen gemacht sind. Mit anderen Worten, sie sind unvollkommen und Änderungen vorbehalten.

Quellen
art spezial (Kunstzeitschrift): Street Art, Hamburg, 2014.
Benke Carlsson/Hop Louie: URBAN ART CORE – Anleitungen für Street-Art-Aktivisten, München 2014.
Eva Howarth: „Pop-art“, in: Eva Howarth (Hg.): Kunstgeschichte – Malerei vom Mittelalter bis zur Pop-art, Köln 1993, S. 236-238.