Dirk Vorndamme | Die Welt ist nicht genug
In einem komplett schwarz getünchten Raum befindet sich mit seinen 2 x 2 Metern das bisher größte Werk des Künstlers. In der Mitte direkt vor dem Eingang auf dem Fußboden ist ein Kreuz mit der Aufschrift: „R.I.P Mutter Erde“ gemalt. Mama Terra wird hier semiotisch zu Grabe getragen. Dahinter, es wirkt, als wenn es schweben würde, befindet sich der Collage-Teil der Kunstinstallation. Alles ist gekonnt und dramatisch mit Licht akzentuiert. Das collagierte Stück der Arbeit, das ganz klar die Welt und auf ihr ein krabbelndes Skelett präsentiert, ist aus mehreren Schichten Plakaten gemacht. Besonders das menschliche Gerippe besteht aus etlichen Lagen Papier, um mehr Tiefe und Plastizität in das Werk zu bringen.
Seit mehreren Jahren schon ist das Plakat das Material, aus dem Dirk Vorndammes Kunst hauptsächlich besteht und verdeutlicht somit seine Liebe zu diesem Werkstoff. Diese dicken Plakatschichten, die immer den Ausgangspunkt seiner Arbeiten bilden, findet der Künstler auf der Straße. Hat er eine geeignete Plakat-Wand gefunden und sie von der Straße geholt, überlegt er sich, was für ein Format das Werk haben soll, welches Motiv er verwenden möchte und beginnt dann mit einer Bleistiftskizze. Den Rest malt, baut, stapelt und bastelt er dann zu einem Plakat-Wand-Bild zusammen. Aufgrund der inhärenten Oberflächenstruktur der Plakate mit den Unebenheiten verleihen sie jedem Bild eine Einzigartigkeit. Für seine Bilder nutzt Dirk Vorndamme die Rückseite der Plakate, da sie eine neutrale und monochrome weiße oder graue Farbigkeit aufweisen und sich dadurch besser bearbeiten lassen. Hingegen verkünden die Vorderseiten von vergangenen Konzerten, Festen, Kulturveranstaltungen, Versammlungen und vielem anderem. So sind sie nicht nur die Substanzen für die einzelnen Kunstwerke, sondern auch bunte Zeugnisse aus vergangenen Zeiten. Aus diesem Grund sind sie Spiegel für gesellschaftliche Zustände und wichtige Quellen für das Verständnis einer gewissen Zeit. Leider werden Plakate in der zunehmenden digitalisierten Welt immer seltener, weshalb das Material allmählich von den Straßen verschwindet; jedenfalls die zu dicken Schichten übereinander geklebten Plakate, die sich teilweise auch schon von alleine vom Untergrund lösen. Ansonsten arbeitet Dirk Vorndamme gerne und ganz klassisch mit Pinsel und Farbe. Oft kann man die Schraffuren der Pinselstriche noch in seinen Arbeiten erkennen. Er bevorzugt knallige Farben, wie türkis, lila sowie pink und liebt das manuelle Handwerk. So kommen computerbasierte Techniken bei ihm nicht zum Einsatz.
Bei Dirk Vorndammes Kunst vermischen sich spannende Aspekte. Im kontextualisierten Ausstellungsumfeld des OZMs stellt sich z. B. folgende Frage: Sind die Werke des Künstlers der Street Art zu zurechnen oder eher nicht? Auf der einen Seite verwendet er ganz klar ein Material (Plakat), das von der Straße kommt. Auf der anderen Seite entstehen seine Arbeiten weder dort noch stellt er sie im urbanen Raum aus. Das hat er noch nie getan. Doch durch die Verwendung des Werkstoffes Plakat, dass in der Regel ein mit Text sowie Bild bedruckter Bogen aus Papier oder Stoff ist und eine Botschaft übermittelt, bezieht sich Vorndammes Kunst aber auf das öffentliche Umfeld der Straße, auch wenn es im Inneren eines Ausstellungshauses zu sehen ist. Bis zur Massenverbreitung des Fernsehens (um 1970), war das Plakat eines der bedeutendsten Werbemittel. Seitdem hat es sich nur kaum verändert. Damals wie heute wird es oft in hoher Auflage auf Papier gedruckt, ist groß, farbig, auffällig, enthält Bild und Schrift in möglichst sinnvoller Anordnung und will etwas mitteilen. Diese Bestandteile sind bei dem collagierten Teil von Die Welt ist nicht genug deutlich zu sehen. Auch wenn das Format der Arbeit nicht das klassische eines Plakates ist, so ist es doch groß und deutlich sichtbar. Außerdem ist es farbenfroh und beinhaltet sowohl Motive als auch Schrift. Ebenso sind die Aussagen, die das Kunstwerk vermittelt, eindeutig und selbsterklärend, auch wenn diese nicht gleich auf den ersten Blick zu finden sind. So kann der Künstler (Absender) nicht hundertprozentig sicher sein, ob seine Botschaft den einzelnen Besuchenden (Empfänger*in) erreicht. Ob die Arbeit von Dirk Vorndamme der Street Art zugeordnet werden kann, lässt sich nicht eindeutig klären. Fest steht aber, dass er Kunst in der Manier von Street Art produziert.
„Es ist nicht einfach mit dem Negativen. Man muss sich mit dem Negativen halt auseinandersetzen. Mit dem Positiven musst du nur gucken.“ (Dirk Vorndamme, 2013)
Die Besucher*innen sind vom Künstler herzlich dazu eingeladen, die Installation zu betreten, sich im Raum zu bewegen, den plastischen Teil der Arbeit zu umrunden, diesen auch vorsichtig anzufassen und nach den geschriebenen Worten zu suchen. Es sind keine angenehmen Themen, die Dirk Vorndamme mit seinem Kunstwerk im OZM HAMMERBROOKLYN behandelt. Aber dem Künstler geht es vorrangig auch nicht darum, die Menschen eines Besseren zu belehren. In erster Linie möchte er seine eigenen Dämonen und Ängste loswerden. Wenn die Menschen sich durch seine Kunst ändern, findet er das schön, aber das ist nicht sein erster Gedanke, den er bei der Anfertigung seiner Werke hat. Doch die Ausstellung, die der Künstler als bildhaften Stellvertreter für die Bewegung „Fridays for Future“ sieht, mahnt definitiv an. Kunst vermag es, die Leute anders zu berühren, als es der gewöhnliche politische Diskurs in u. a. Zeitungsartikeln, Kommentaren oder Fernsehen tut. Gegebenenfalls erweist sich die emotionale Kraft eines Bildes als stärker, als die intellektuelle Voreinstellung der Betrachter*innen. Kunst hat einen Einfluss darauf, wie bestimmte Sachverhalte angesehen werden. Das macht sie einzigartig. Für Dirk Vorndamme, der einen eigenen Standpunkt hat und ihn öffentlich vertritt, ist Kunst ein großartiges Werkzeug, um diesen zu präsentieren. Und am Ende sollte man nicht vergessen, das Gesetze von Menschen gemacht sind. Mit anderen Worten, sie sind unvollkommen und Änderungen vorbehalten.