Ein Kaleidoskop von Farben – Ein Brückenschlag zwischen dem OZM HAMMERBROOKLYN und “Eine Stadt wird bunt”
Kunst hat die Macht, ein Ausdruck ihrer Zeit zu sein und präsentiert gleichzeitig die Individualität ihrer Schöpfer. Hat sie es an die Wand im Museum geschafft, beginnt sie, das Bild ihrer Zeit bei einem breiteren Publikum zu beeinflussen. Kunstwerke sind prägend, wenn sie einen Zeitabschnitt zutreffend präsentieren und so zum Bild ihrer Gegenwart werden.
Das auch die Kunst des Graffiti dies schaffen kann, beweist die aktuelle Ausstellung “Eine Stadt wird bunt” im Museum für Hamburgische Geschichte, die noch bis Ende Juli 2023 zu sehen ist und sich vor allem aus soziokultureller Perspektive mit dem Thema befasst. Nach vielen, vielen Jahren traut sich ein größeres Museum zu, sich der Kultur sowie der Historie des Graffiti wieder anzunehmen und es in seinen Hallen zu präsentieren.
Dem Kuratoren-Team, bestehend aus Mirko Reisser (DAIM), Oliver “Davis” Nebel, Frank Petering und Andreas Timm, ist eine beeindruckende Exposition gelungen, die zum Teil sehr intime Einblicke in die Welt der Hamburger Writer-Szene der 1980er- und 90er-Jahre gibt. Durch unveröffentlichte Dokumente und Objekte sowie Infos aus erster Hand werden ungeahnte Wissenslücken geschlossen. Sehr lohnend ist aus diesem Grund, eine geführte Tour mit z. B. Oliver “Davis” Nebel oder Mirko Reisser zu machen, die auch als Artists und Davis obendrein als Workshopleiter fürs OZM HAMMERBROOKLYN tätig sind. Die beiden Writer und Hamburger Graffiti-Urgesteine stecken so tief in der Materie drin, dass sie nicht nur die Ausstellung super erklären können, sondern diese auch mit spannenden Anekdoten über die damalige Zeit zu bereichern wissen. So bleibt Wissen haften!
Neben unzähligen Fotografien, Blackbooks, Skizzen, Plattencovern, Filmaufnahmen und Dosen aus den verschiedensten Jahren etc., können auch originale Kleidungsstücke und die ersten Bücher und Magazine, die sich mit Graffiti auseinandersetzten, bestaunt werden.
Hier ein Beispiel für eines der ersten Bücher, das sich mit dem Thema Graffiti befasste. Es wurde laut Aussage von Davis nur in limitierter Auflage gedruckt, weshalb es heute ein richtiges Kleinod darstellt.
Was ebenfalls sehr beeindruckend ist und berührt, ist eine große bunte Leinwand aus Holz, die von den beiden Künstlern ArtOne und GODLING 1991 im Zuge eines Ausstellungsprojekts des Altonaer Museums gestaltet wurde. Als erstes Museum in Hamburg befasste sich die Institution mit dem Thema Graffiti. So war es vor 30 Jahren für die beiden jungen Sprayer eine Anerkennung, dass sie das großformatige Werk legal und offiziell für ein Museum (!) malen durften und dieses in einem öffentlichen Kontext präsentieren konnten. Umso schöner, dass das Kunstwerk über die Jahrzehnte hinweg erhalten geblieben ist – wenn auch unter Verschluss – und nun wieder der Öffentlichkeit gezeigt wird. Auch für die beiden Künstler, die jeweils eine Ausstellung im OZM HAMMERBROOKLYN haben, in denen ihre brillanten Kunstwerke zu sehen sind, war es ein bewegender Moment, als sie das Werk nach über 30 Jahren wieder zu Gesicht bekamen. Das ist lebendige Geschichte!
Megawars, ArtOne und GODLING, Sprühlack auf Holz, ca. 5 x (200 x 150 cm), 1991, Leihgeber: Altonaer Museum
Wer Interesse an Graffiti, Urban Art und der künstlerischen Entwicklung von GODLING, ArtOne, Mirko Reisser (DAIM) und anderen Künstlern hat, sollte unbedingt ins OZM HAMMERBROOKLYN kommen. Hier lässt sich die Genese von einigen Künstlern sehr schön nachvollziehen. So gibt es im Fundus von ArtOnes Ausstellung “Aerosol HandStyles” viele Graffiti-Arbeiten, die aus unterschiedlichen Jahren stammen und dadurch einen fabelhaften Überblick seiner künstlerischen Entfaltung bieten.
Bei GODLING, der zusammen mit Anna Pokrywiec mehrere Räume gestaltet, wird die Kunst des Graffiti noch mal ganz anders eingesetzt und so neue Perspektiven darauf eröffnet.
Und auch bei DAIM in seiner Exposition “Simple as that” lassen sich Themen wie das Style-Writing, die Porträtkunst und andere spannende Inhalte finden.
Wer nach seinem Besuch im Museum der Hamburgischen Geschichte immer noch nicht genug von der Historie des Graffiti hat, kann zudem im OZM HAMMERBROOKLYN eine weitere kleine Ausstellung von “Eine Stadt wird bunt” finden. In der ruhigen und entspannten Atmosphäre kann man sich bestens informieren, originale Zeitdokumente studieren oder sich von der sehr authentischen Umgebung inspirieren lassen.
Außerdem geben die Ausstellungen und geführten Touren durch das Exponat einen Ausblick auf die Zukunft von Graffiti, Urban Art und Digital Art, denn die Kunst wird hier weiter gedacht, entwickelt und in neue Kontexte gestellt. Im OZM HAMMERBROOKLYN wird die Geschichte weitergesponnen und der dafür so dringend benötigte kreative Freiraum gewährleistet.
Mit den Ausstellungen im OZM HAMMERBROOKLYN und im Museum für Hamburgische Geschichte gelingt es nicht nur die Graffiti-Kunst, sondern auch deren Protagonisten ins Gedächtnis der Besucher zu holen. Es passiert nicht oft, dass beide Komponenten ebenbürtig in einen größeren musealen Raum kommen und dadurch eine solche Würdigung erhalten. Eine noch recht junge Kunst – obwohl diese in Deutschland mittlerweile auch über 30 Jahre “auf dem Buckel” hat – wurde zum Ausdruck einer ganzen Generation und demonstriert uns deren Umgang sowie die künstlerische Interaktion mit den verschiedenen Orten und Gegebenheiten. Geschichte wird häufig von den „Mächtigen“ geschrieben. Graffiti offenbart uns die versteckten Erzählungen derjenigen, die ohne diese Kunst sehr wahrscheinlich in Vergessenheit geraten wären.